Giacomo Corneo und Theocharis Grigoriadis: "Bessere Welt: Hat der Kapitalismus ausgedient?"
Bereits seit seinen frühen Anfängen wurde der Kapitalismus beständig als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kritisiert. Weltweit protestieren Menschen immer wieder gegen Kapitalismus, weil sie ihn für die Konzentration von Einkommen und Vermögen, die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und Arbeitslosigkeit verantwortlich machen. Spätestens seit dem Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise ist diese Kritik wieder besonders laut geworden. Viele haben Sehnsucht nach einem neuen System, das gerechter und menschlicher ist, zugleich aber ebenso effizient wie der Markt. Doch hat der Kapitalismus tatsächlich ausgedient, wie es viele behaupten? Und wenn ja, welche Alternativen gibt es?
Fotos: Anja Mocek
Im Rahmen der Vorlesungsreihe zur Wirtschaftspolitik des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft der FU Berlin ist Giacomo Corneo, Professor für Öffentliche Finanzen an der FU Berlin und Leiter des Promotionskollegs „Steuer- und Sozialpolitik bei wachsender Ungleichheit“, diesen Fragen auf den Grund gegangen.
Corneo betont, dass die Suche nach alternativen Wirtschaftssystemen in der öffentlichen Diskussion oftmals tabuisiert und nicht als seriöses Thema behandelt wird. Diesen Zustand betrachtet Corneo als „intellektuell feige“ und vor allem „politisch kontraproduktiv“. In seinem gerade erschienenen Buch „Bessere Welt: Hat der Kapitalismus ausgedient? Eine Reise durch alternative Wirtschaftssysteme“ bricht er dieses Tabu und analysiert die aussichtsreichsten Alternativen als Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen im Vergleich zur Marktwirtschaft.
Was hat Corneo dazu motiviert sich dieser Suche zu widmen? Gleich am Anfang der Veranstaltung warnt er vor der Gefahr der Wiederentstehung einer polarisierten Gesellschaft, ähnlich wie im 19. und 20. Jahrhundert. Er stellt fest, dass in den letzten zwei Jahrzenten die Kapitalrendite größer als die Wachstumsrate des Arbeitseinkommens war. Mit anderen Worten: Das Privatvermögen wächst schneller als das Arbeitseinkommen, was zu einer steigenden Konzentration von Einkommen und Vermögen in den Händen der Geldeliten führt. Laut Corneo rechtfertigt ein solcher Zustand die Suche nach einer besseren Wirtschaftsordnung, die mindestens den gleichen Wohlstand wie die heutige soziale Marktwirtschaft erzeugt.
Ein solches alternatives Wirtschaftssystem müsse einen doppelten Eignungstest bestehen, so Corneo. In erster Linie solle es die Menschen dazu motivieren, ihre ökonomischen Aufgaben zu erfüllen, d.h. Kooperation sicherstellen. In zweiter Linie sollen diese ökonomischen Aufgaben auch sinnvoll sein, d.h. eine effiziente, verschwendungsfreie Allokation gewährleisten.
Im Folgenden zeigt Corneo wie eine Reihe von alternativen, nicht marktorientierten Wirtschaftssystemen wie die allgemeine Gütergemeinschaft, der anarchistische Kommunismus, oder die Planwirtschaft an einem dieser beiden Testkriterien scheitern. Aber auch Systeme wie die Selbstverwaltung, der Marktsozialismus, das bedingungslose Grundeinkommen oder die Sozialerbschaft scheitern entweder an Kooperations- oder Allokationsproblemen. Laut Corneo zeigen diese Erkenntnisse, dass Märkte für die Steuerung einer komplexen Volkswirtschaft unerlässlich seien. Dazu sei es notwendig, Systeme durchzuspielen, die neben der Marktwirtschaft auch nicht-kapitalistische Elemente vorsehen, so Corneo.
Das einzige System das die beiden Eignungskriterien erfülle sei der Aktienmarktsozialismus. Aber wie könnte eine solche Wirtschaftsordnung gestaltet werden? Corneos neuartiger Vorschlag basiert einerseits auf eine Verstärkung des heutigen Wohlfahrtsstaates mit dem Ziel mehr Effizienz, Großzügigkeit und bürgerliche Unterstützung zu gewährleisten. Zweitens plädiert er für einen Wettbewerb zwischen demokratischer und kapitalistischer Steuerung von Großunternehmen. Was besagt der Letztere genau?
Corneo schlägt vor, dass 51 Prozent des Kapitals der Großunternehmen im öffentlichen Eigentum stehen und von einem sogenannten Bundesaktionär verwaltet sein sollen. Die erzielten Gewinne können dann in den Staatshaushalt fließen und dem Gemeinwohl dienen. Das restliche Kapital solle wie üblich kapitalistisch gesteuert werden. Diejenige Eigentumsstruktur die im Wettbewerb (Maximierung der Shareholder Value) gewinnen würde, solle die Wirtschaftsordnung letztendlich prägen. Sollte sich die neuartige Institution des Bundesaktionärs als effizienter erweisen, so wäre eine gerechtere Verteilung des Wirtschaftswachstums möglich, so Corneo.
Im Anschluss an den Vortrag diskutierte Professor Theocharis Grigoriadis vom Osteuropa-Institut der FU Berlin den Standpunkt Corneos. Er betont die wichtige Rolle, welche die sozialen Normen und Werte wie Altruismus in der Koordination einer Gütergemeinschaft spielen. Auch die kontroverse Frage einer Kombination zwischen zentraler Marktwirtschaft und diversen Marktelementen beleuchtet er aus einer komparativen Perspektive. Anschließend bringt Grigoriadis konkrete Fragen zu dem neuartigen Vorschlag Corneos auf, wie zum Beispiel zur Rolle der Geschäftsbanken, zur Sicherstellung der Liquidität, oder zum Zusammenspiel zwischen der internationalen Koordination der Fiskalpolitik und den demokratischen Institutionen.
Unter der Moderation von Prof. Dr. Barbara Fritz vom Lateinamerika-Institut bekam auch das Publikum die Gelegenheit, sich an der Debatte zu beteiligen. Die Effizienz der politischen Eingriffe, die Herausforderungen des Jahrhunderts wie die Entwicklung der Dritten Welt, der technologische Wandel oder Umweltverschmutzung, sowie die konkrete Ausgestaltung des Übergangs zum Aktienmarktsozialismus werden in sachlichen und spannenden Fragen thematisiert. Corneo betont, dass das Ziel des Übergangs zu einem besseren Wirtschaftssystem das Erreichen eines guten Lebens sei, angespornt von Liebe und geleitet von Erkenntnis. Die Demokratie könne durch politische Eingriffe das Effizienzkriterium besser erfüllen als die Machtkonzentration in den Händen der Geldeliten. Konkret zu dem Übergang zum Aktienmarktsozialismus unterstreicht Corneo, dass ein solcher Schritt nicht notwendigerweise internationaler Koordination bedarf; „auch Berlin allein könne das machen“.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Veranstaltung einen fundierten Beitrag zu der (noch) kontroversen und tabuisierten Diskussion über die Suche nach dem besten Wirtschaftssystem geleistet hat. Sowohl wirtschaftswissenschaftliche Argumente, als auch soziale, historische und politische Begründungen wurden mit Leidenschaft und Vision von den Vortragenden erörtert und mit Begeisterung von dem zahlreichen Publikum entgegengenommen und erweitert.
Dieser Artikel ist auch im Online Magazin campus.leben der Freien Universität Berlin erschienen und kann unter folgendem Link aufgerufen werden.
Weitere Informationen:
Homepage von Theocharis Grigoriadis
Profilseite des Buches „Bessere Welt: Hat der Kapitalismus ausgedient?“